Stil oder Spielraum

Kurze Hosen in der Bank, Hawaiihemd am Empfang: Modische Freigeister gibt es viele. Doch wie weit darf der eigene Stil am Arbeitsplatz gehen? Dürfen ­Firmen Tattoos, Bart oder Kleidung reglementieren? Es kommt auf den Einzelfall an, sagt das Arbeitsrecht.

Text: Katja Stricker

„Ob Bart, bunte Haare, Tattoos oder Piercings: Das sind alles Formen der freien Persönlichkeitsentfaltung“, erklärt der Kölner Fachanwalt für ­Arbeitsrecht Volker Görzel. Eine Einschränkung sei grundsätzlich nur dann zulässig, wenn der Arbeitgeber einen berechtigten Einwand gegen die jeweilige Erscheinungsform nachweisen könne. Ein Beispiel: „Polizisten dürfen sichtbare Tattoos unter Umständen nicht zeigen, wenn dadurch die staatliche Neutralität infrage gestellt wird. Auch bestimmte Bartformen können mit Hygiene­vorschriften kollidieren, etwa im Lebensmittel­bereich“, so Görzel.

Das Direktionsrecht und seine Grenzen

Kleidung ist Ausdruck der Persönlichkeit. Doch im Job gilt: Der Stil hat dort Grenzen, wo betrieb­liche oder gesetzliche Anforderungen greifen. Rechtlich geregelt ist das im sogenannten Direk­tionsrecht (§ 106 GewO). Es erlaubt Arbeitgebern, Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung – und eben auch gewisse Rahmenbedingungen – näher zu bestimmen.

Leger oder Streng? Es kommt darauf an.

Dieses Recht muss allerdings gut begründet sein, etwa durch Sicherheitsaspekte, Hygienevorschriften oder das äußere Erscheinungsbild der Firma. Die Grenze des Direktionsrechts ist überschritten, wenn die Vorschrift unverhältnismäßig in die Persönlichkeitsentfaltung eingreift oder diskriminierend ist. Ein vollständiges Verbot von gefärbten Haaren ist zum Beispiel nur in Ausnahmefällen rechtmäßig.

„Kleidungsvorgaben sind insbesondere dann zulässig, wenn es um Arbeitsschutz oder Hygiene geht“, sagt Livia Merla, Berliner Fachanwältin für Arbeitsrecht. „Stahlkappenschuhe auf der Baustelle oder Haarnetze in der Großküche sind nicht nur erlaubt, sondern oft gesetzlich vorgeschrieben.“ Auch auffälliger Schmuck oder Gelnägel können in Bereichen wie Pflege, Küche oder ­Klinik untersagt werden, da sie ein hygienisches ­Risiko darstellen.

Ein weiterer Grund für Dresscodes: das Erscheinungsbild nach außen. „Ein berechtigtes Interesse an einer bestimmten Kleiderordnung kann bestehen, wenn das äußere Auftreten für das Unternehmen wesentlich ist“, betont Merla. In Banken oder Versicherungen wird beispielsweise Seriosität erwartet. Anzug oder Kostüm können dann als angemessen gelten.

Im Sinn der Corporate Identity

Einheitliche Kleidung kann im Sinne der Corporate Identity vorgeschrieben werden, etwa im Einzelhandel, bei Flugbegleitern oder im Hotel. Eine einheitliche Optik – etwa durch Uniformen oder festgelegte Farben – ist dann erlaubt, wenn sie die Zugehörigkeit zur Marke oder Funktion sichtbar macht. Das bestätigte das Landesarbeitsgericht Düsseldorf 2024, als es die Kündigung eines Arbeitnehmers für rechtens erklärte, der wiederholt die vorgeschriebene rote Arbeitshose nicht getragen hatte. Besonders auffällige Kleidung wie Flipflops oder Shorts kann bei Kundenkontakt wiederum untersagt werden, wenn dies mit dem Erscheinungsbild des Unternehmens kollidiert.

Besonders vorsichtig müssen Arbeitgeber bei religiös oder weltanschaulich motivierter Kleidung sein, etwa bei Kopftuch, Kreuzanhänger oder langen Röcken. „Auch das fällt unter das Grundrecht auf Religionsfreiheit“, erklärt Fachanwalt Görzel. Einschränkungen seien hier nur in engen Grenzen möglich. „Das Interesse des Arbeitgebers überwiegt nur dann, wenn es zu erheblichen betrieblichen Störungen kommt oder gesetzliche Vorgaben verletzt werden“, erläutert er. Das Verbot religiöser Symbole darf nicht pauschal erfolgen, sondern muss sachlich begründet und diskriminierungsfrei umgesetzt werden.

Auch Tätowierungen haben Grenzen

Auch Tätowierungen sind ein sensibles Thema. In einigen Bereichen des öffentlichen Diensts, beispielsweise bei der Polizei, können sichtbare Tattoos ein Einstellungshindernis darstellen, wenn sie mit der staatlichen Neutralitätspflicht unvereinbar sind. „In der Privatwirtschaft kann der Arbeitgeber zumindest verlangen, dass bestimmte Tätowierungen verdeckt werden, wenn deren Aussagen eindeutig im Widerspruch zur Unternehmensphilosophie stehen“, so Merla.

In Betrieben mit Betriebsrat dürfen Kleidervorgaben nicht einseitig durchgesetzt werden; der Betriebsrat hat dann ein Mitbestimmungsrecht. In der Praxis werden Vorgaben zur Arbeitskleidung häufig in Betriebsvereinbarungen festgelegt. Ob ein Arbeitgeber das Erscheinungsbild seiner Mitarbeiter reglementieren darf, hängt also stark vom Kontext ab. „Was erlaubt ist, richtet sich immer nach dem konkreten Jobprofil, den Umständen im Betrieb und dem Ausmaß des Eingriffs“, bringt es Livia Merla auf den Punkt. Stil und Stelle müssen zusammenpassen.

Dienstkleidung – was gilt?

Das sagt Volker Görzel, Fachanwalt für Arbeitsrecht.

  • Vorgeschriebene Dienstkleidung – etwa Uniformen oder T-Shirts mit Firmenlogo – muss in der Regel vom Arbeitgeber bezahlt werden. Ist die entsprechende Kleidung gesetzlich vorgeschrieben oder aus Gründen des Arbeitsschutzes erforderlich, besteht eine klare Verpflichtung des Arbeitgebers, sie bereitzustellen und auch zu finanzieren.
  • Außerdem gilt: Für das An- und Ausziehen muss ein geeigneter Umkleideraum bereitstehen. Wer sich weigert, Dienstkleidung zu tragen, riskiert eine Abmahnung – das gilt als Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten. Doch auch hier kommt es auf den Einzelfall an. Bei gesundheitlichen Gründen, etwa extremer ­Hitze, greift die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers.

Fotos: Midjourney

Neueste Beiträge